Autor: Friedrich Dürst
Um mit dem Thema "Neue Arbeit" nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen ist es ratsam, die Bedeutung der Arbeit unter heutigen veränderten gesellschaftlichen und technologischen Bedingungen auf den Prüfstand zu stellen. Hierzu sollte der Begriff Arbeit eindeutig definiert werden. Und darin liegt das Problem. Für den einen ist Arbeit ein notwendiges Übel, für den anderen individuelle Entfaltung. Das was wir in unserem abendländischen Kulturkreis unter Arbeit verstehen, den hohen Stellenwert, den Arbeit in unserem Leben hat, ist nicht auf Schilderungen gewachsen. Die Bedeutung der Arbeit entstammt historisch gesehen einer geistesgeschichtlichen, letztlich religionsgeschichtlichen Tradition. Diese Überlegung ist die Erkenntnis des renommierten Professors für Philosophie und Pädagogik, Peter Nieschmidt. Er sieht die heutige Bedeutung der Arbeit als Ergebnis aus drei Strömungen, nämlich einer katholischen, einer lutherischen und einer calvinistischen
Ora et labora et lege
Das älteste Verständnis, das Katholische gründet in der altgriechischen Philosophie der Antike und im "ora et labora et lege" (lat. "Bete und arbeite und lies") des Ordens des Heiligen Benedikt. Bereits hier hat Arbeit einen hohen Stellenwert, sie steht aber nicht im Zentrum der menschlichen Existenz. Arbeit wird immer als soziale Interaktion verstanden, also ein Für- und Miteinander. Arbeit für sich alleine ist etwas völlig Abstraktes, es arbeiten nur Bauern, Handwerker und Leibeigene. Die zentrale Lebenstugend der damaligen Sichtweise ist die Suche nach dem Sinn des Lebens, und nicht nach Vermögen. Was ein Hand-werker verdienen darf und welche Preise er verlangen darf, bestimmt nicht der Markt, sondern ist beispielsweise in der "Summa theologica" von Thomas von Aquin vorherbestimmt. Darin steht, dass der Preis "gerecht" sein muss – und hat einer mehr als der Andere, hat er betrogen. Vermögen wird vererbt oder durch Heirat mitgegeben. Bereits im vierten Jahrhundert nach Christus übernahm die katholische Kirche in ihrer Ethik die Kardinaltugenden des griechischen Philosophen Platon. Weisheit, Tapferkeit, Zurückhaltung und Gerechtigkeit haben alle auf den ersten Blick keinen konkreten Bezug zur Arbeit. Auch die drei christlichen Tugenden (Glaube, Liebe und Hoffnung) sind davon weit entfernt.
Arbeitsverständnis nach Luther
Das lutherische Verständnis von Arbeit verliert in der Reformation im 16. Jahrhundert die soziale Interaktion schon etwas aus dem Blick. Arbeit und Beruf rücken in das Zentrum der menschlichen Existenz. „Beruf kommt von Berufung“, so Martin Luther. Aufgabe eines damaligen Handwerksmeisters war es folglich, das Bestmögliche zu leisten, was man in diesem Beruf
erreichen kann, denn zur "Meisterlichkeit" wurde man schließlich auch von Gott berufen. Gewissenhaftigkeit und Pflichterfüllung wurde somit zur epochalen protestantischen Tugend. Durch die Qualität der erschaffenen Produkte erkennt der Mensch, dass er sich auf dem richtigen Weg zur Heilsgewissheit befindet. Die soziale Interaktion tritt in die zweite Reihe. Das Verständnis von Arbeit in der heutigen Zeit ist allerdings nicht geprägt von einem qualitätsorientierten lutherischen Verständnis, sondern eher durch ein quantitativ orientiertes Verständnis. Dieses geht auf Luthers Mitreformator Johannes Calvin zurück.
Natura corrupta
Calvin hat im Gegensatz zu Luther ein anderes, ein pessimistisches Menschenbild. Maßgeblich dafür ist die Sichtweise, dass jeder Mensch eine "natura corrupta" (lat. "verderbte Natur") besitzt. Diese hindert uns beispielsweise durch Genusssucht oder Müßiggang (vgl. „Müßiggang aller Laster Anfang“) daran, das christliche Seelenheil zu erlangen. Um die "natura corrupta" in den Griff zu bekommen, muss sie folglich ständig diszipliniert und beschäftigt werden, und zwar durch Arbeit. Sollte man sich ihr dennoch hingeben, stiehlt man Gott einen Tag (vgl. „Tagedieb“). Die Errungenschaften der Arbeit werden nicht verbraucht, denn man lebt in Askese (vgl. „Vom Munde abgespart“). In diesem Gedankengang liegt eine der zentralen geistesgeschichtlichen Revolutionen des Abendlandes, denn zum ersten Mal wird Besitz und Vermögen durch Arbeit theologisch hoch bewertet, denn diese sind eindeutige Zeichen dafür, im Sinn des Lebens angekommen zu sein. Später wird Gott durch den Chef oder vielmehr durch Ansehen, Geltung, Status und Kapital ersetzt. In keiner anderen Hochreligion ist dies der Fall.
Mensch im Spannungsfeld
Allen gemein ist die Vorstellung, dass sich der Mensch als Mittelpunkt im Spannungsfeld zwischen Sinn des Lebens (vgl. „Göttlichkeit“) und Besitz (vgl. „Weltlichkeit“) behaupten muss. Und vor den Folgen des Besitzes wird stets gewarnt. Das calvinistische Verständnis von Arbeit ist damit das maßgeschneiderte Christentum für das aufstrebende Bürgertum in der Epoche der Aufklärung. Fleiß, Sparsamkeit und Tüchtigkeit, und damit Vermögen ist vollständig theologisch gerechtfertigt. Vor allem eine Eigenschaft wird bei den Anhängern von Calvin zur zentralen Tugend, der Fleiß (lat. "industria"). Damit st der Grundstein für die Wirtschaftsform und damit auch das Verständnis von Arbeit bis zum heutigen Tage gelegt. Calvinisten in der Schweiz, Reformierte in Deutschland, Puritaner in England und Amerika und Hugenotten in Frankreich beginnen im 17. Jahrhundert erste arbeitsteilige und industrielle Strukturen zu erfinden und in ihre Manufakturen zu integrieren. Der katholische Südgürtel Europas mit Spanien, Portugal, Süditalien und auch Griechenland oder Südamerika industrialisieren erst im 20. Jahrhundert, teilweise nach dem zweiten Weltkrieg. Damit sind Arbeit und Produktion Ausgangspunkt von Gütern und Dienstleistungen und diese muss sich rechnen – oder es ist keine Arbeit. Der Indikator für die wirtschaftliche Kraft der arbeitenden Bevölkerung ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP), dessen Grundstein bereits im 17. Jahrhundert vom britischen Ökonom William Petty gelegt und später von Adam Smith, dem Begründer der klassischen Ökonomie, konkretisiert wurde. Soziale Interaktion und die darin verborgene Arbeit (bspw. Erziehung, Versorgung etc.) ist darin nicht berücksichtigt. Mit diesem Verständnis von Arbeit haben wir es auf ungesättigten Märkten, besonders im Ersten Maschinenzeitalter zu großem technischem Fortschritt und enormen Wohlstand gebracht.
Humanistisches Verständnis
Obwohl dieses Streben nach Effizienz uns bis heute prägt, wurde in Deutschland um 1800 ein sehr viel genaueres und humaneres Verständnis von Arbeit entwickelt. In den Überlegungen des deutschen Idealismus wurde von den wichtigsten Vertretern, unter ihnen Philosophen wie Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, völlig neu gedacht. In Hegels Werk "Phänomenologie des Geistes" werden der Begriff und das Verständnis von Arbeit passend aus allen religionshistorischen Anschauungen zusammenfasst. Arbeit ist nach Hegel „das Produzieren von Gütern und Dienstleistung (altgr. "Poiesis") durch die Realisierung von Ideen (altgr. "Praxis") und das Übersetzen dieser in die Wissenschaft (altgr. "Theorie")“. Das gilt sowohl für Mitarbeiter als auch für Vorgesetzte. Damit sind soziale Interaktion und persönliche Selbstentwicklung immer Grundvo-raussetzung. Die Bedeutung von Führung bekommt nach Anschauung der deutschen Philosophen eine ganz andere Bedeutung als die des rein effizienzgetriebenen Abarbeitens und Überwachens der "natura corrupta" der einzelnen Mitarbeiter.
Kapitalismus
Trotz des europaweiten philosophischen und politischen Erfolgs des deutschen Idealismus fragmentalisierte sich dieser mit der fortschreitenden Industrialisierung und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Der im 17. Jahrhundert entstandene Begriff des "Kapitalismus" prägte die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Typisch für dieses Prinzip sind das Privateigentum der Produktionsmittel und das Prinzip der Gewinnmaximierung. Ausgehend von Kapitalbesitz sind die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel und das Weisungsrecht über Arbeitskräfte die Voraussetzung. Mit Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Wirtschaftsordnungen der westlichen Industrieländer durch eine große Anzahl von Sozial- und Wirtschaftsgesetzen reformiert und starke Gewerkschaften sorgten für einen Kräfteausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Das führte dazu, dass für große Teile der Bevölkerung solide Wohlstandsverhältnisse entstanden. Der Begriff Kapitalismus beschreibt deshalb die heute existierende neoliberale Ordnung der westlichen Industrieländer nicht mehr eindeutig. Durch die Möglichkeit der kostengünstigen industriellen Massenfertigung und der enormen weltweiten Nachfrage wurde Arbeit zu reiner Lohnarbeit und Mitarbeiter zur Ressource. Um die Lohnkosten zu senken und damit die Effizienz zu steigern, wurden immer mehr Arbeitsprozesse in unterschiedlich anspruchsvolle Teilprozesse aufgespalten (vgl. Babbage-Prinzip). Weiterer Vorteil dieser Arbeitsweise ist die Möglichkeit, niedrigqualifizierte Arbeiter einzusetzen und bei jeglichem Problem auszutauschen. Dieses Babbage-Prinzip ist eine inhärente Prämisse in Frederick Taylors Managementkonzept "Scientific Management". Dieses Konzept beschreibt die Optimierung von Arbeit durch eine rein wissenschaftliche Herangehensweise. Kennzeichen sind beispielsweise die Trennung von ausführender und planender Arbeit, Zeitstudien zur Ablaufverbesserung, Differential-Akkordlohnsysteme, Planmengenvorgaben aus Prognosen und das Funktionsmeistersystem. In letzterem wird die Trennung von "Denken" und "Tun" beschrieben. Je höher man sich in einer Hierarchie befindet, desto mehr denkt man – je niedriger, desto mehr erhält man Weisungen. Das Problem der Zuständigkeit löst man durch das Teilen (vgl. "Abteilung") der Wertschöpfungskette. Kompetenzkonflikte wurden durch Vorgesetze in verschiedenen hierarchischen Ebenen kompensiert. Das Ergebnis ist heute noch in den meisten Unternehmen in der Organisationsstruktur zu erkennen.
Karl Marx
Einer der ersten großen Kritiker des Kapitalismus und der damit verbundenen Arbeitsform war der deutsche Philosoph und Ökonom Karl Marx. In seinen frühen Veröffentlichungen betont Marx immer wieder den Aspekt der Entfremdung der Arbeiter von ihrem Produkt. Arbeit sei im Kapitalismus nicht eine Möglichkeit der Selbstverwirklichung, sondern durch den Lohnarbeiterstatus erzwungene Arbeit. Mit seinem Hauptwerk "Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie" erzeugt Karl Marx im Jahre 1867 weitreichende Aufmerksamkeit in der Arbeiterbewegung. Die kapitalistische Produktionsweise erzeuge eine Klas-sengesellschaft, in der sich Privateigentum durch Indienstnahme von Lohnarbeit vermehre (vgl. "Gewinn – Lohnarbeit – mehr Gewinn"), deren Produzenten aber dauerhaft davon ausgeschlossen seien. Weiter schildert er, dass sich das Kapital gegen die politische Herrschaft richte, denn diese stelle ja ihre ganze Gewalt in die Dienste derselben. Marx betont stets, dass diese Umstände von Menschen gemacht seien und als innenwohnende Sachnotwendigkeit dargestellt werden. Der deutsche Expressionist Fritz Lang übernahm dieses marxistische Bild des Kapitalismus in seinem 1927 erschienenen monumentalen Stummfilmepos "Metropolis". Darin gibt es zwei Klassen, deren eine die andere ausbeutet, und es ist faktisch unmöglich, von der unteren in die obere Klasse aufzusteigen. Dass der Sinn der Maschinen den Arbeitern unverständlich bleibt, verweist auf die Entfremdung von Arbeit und Mensch. Mit der Weltwirtschaftskrise zum Ende der 1920er bekam der Kapitalismus und die damit verbundene Arbeitsform erstmals einen Dämpfer. Die Auswirkungen des New Yorker Börsencrashs waren eine gewaltige Deflation, massenhafte Arbeitslosigkeit und großes soziales Elend.
Moderne Zeiten
Einem breiten Publikum wurden die Folgen dieser Arbeitsverhältnisse 1936 in dem US-amerikanischen Spielfilm "Modern Times" dargestellt. In diesem Meisterwerk kreiert Charlie Chaplin die Figur des "Tramps", der mit menschlicher Sensibilität auf das Geschehen in der dargestellten Arbeits- und Umwelt reagiert. Die Arbeiter in der Fabrik werden als abgestumpft dargestellt. Der Film kritisiert den durch die Industrialisierung hervorgerufenen Verlust von Individualität durch Zeitdruck und monotone durch Maschinen geprägte Arbeit. Diese Wirtschaftsform und die damit verbundene Bedeutung von Arbeit für Menschen blieb jedoch weltweit in den meisten Unternehmen unbeachtet. Zu sehr war das dominierende Menschenbild der Unternehmer und Manager beeinflusst durch die Chancen im globalen Wachstum. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg machte sich der amerikanische Betriebssoziologe Douglas McGregor auf, entsetzt durch die beherrschenden Arbeitsverhältnisse in amerikanischen Unternehmen, mit einer groß angelegten Umfrage die Mitarbeiterdynamik zu bewerten. Dabei beobachtete er zwei Gruppen von Managern, die jeweils ein gegensätzliches Menschenbild verkörperten. Er beschrieb sie in seiner X-Y-Theorie. Die X-Theorie beschreibt den Menschen als arbeits- und verantwortungsscheu und passiv („Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“). Deswegen braucht er Zwang, Druck und Überwachung. In der Y-Theorie wird der Mensch als von Natur aus arbeitsfreudig, verantwortungsbereit und aktiv gesehen. Des-wegen benötigt er Chancen und Selbstentwicklung. Eine weitere Erkenntnis war, dass das Denken der Manager die Wirklichkeit und damit das Verhalten der Mitarbeiter (vgl. "Rosenthal- oder Pygmalioneffekt") bestimmt. McGregor erkannte allerdings auch schon, dass in der Realität immer nur eine Mischung aus beiden Theorien vor-
kommt, es hängt immer an der jeweiligen Führungskompetenz des Vorgesetzten. Demnach bekommt jeder „die Führungskraft oder den Mitarbeiter, den er verdient“. Die X-Y-Theorie hatte viel Kritik erfahren, sodass daraus vom angesehenen Professor für Management und Organisation, William Ouchi, ein drittes Menschenbild entwickelt wurde. In der Theorie-Z, oder auch "Japani-scher Managementstil", sucht der Mensch langfristige produktive Beziehungen. Er fühlt sich für die Gesamtorganisation und deren Ausrichtung verantwortlich. Dabei nimmt vor allem die Unternehmenskultur die zentrale Rolle ein, denn der Mitarbeiter ist in alle Belange des Unternehmens involviert. Dieses Menschenbild mit enger Beziehung zwischen Mitarbeiter und Unternehmen ist in der westlichen Welt unbewusst weit verbreitet und zwar bei den vielen inhabergeführten Familienunternehmen, Startups oder auch bei Handwerksunternehmen.
Fortschreitende Globalisierung
Mit dem Fortschreiten der Globalisierung und dem Beginn der Automatisierung kamen plötzlich nicht vorhersehbare Probleme auf. Zwar konnte Hard- und auch Software immer kostengünstiger hergestellt und immer günstiger transportiert werden, jedoch brachte die Vernetzung über das Internet die Märkte immer enger zusammen. Eine Absatzsättigung war das Ergebnis. Das Streben nach noch mehr Effizienz bringt keine Wirkung mehr auf den vernetzen Märkten. Sehr oft wird von Marktbedingungen gesprochen, die nicht vorhersagbar scheinen. Mit dem Akronym VUCA ("Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity"), das in den 1990er Jahren am United States Army War College (USAWC) formuliert wurde, werden diese schwierigen Rahmenbedingungen oftmals umschrieben. Dem aus dem Militär entliehenen Begriff wird auch gleich eine Strategie zum Überleben mitverkauft, und zwar ebenfalls das Akronym VUCA ("Vision, Understanding, Clarity und Agility"). Es ist in Frage zu stellen, ob jeweils vier abstrakte Begriffe die vielperspektivischen Umstände eines Organisationsystems und ihrer Umwelt und die damit verbundene Bedeutung der Arbeit hinreichend und ausreichend beschreiben.
New Work
Parallel und zunächst ohne Bedeutung entwickelte sich eine ganz andere Bewegung, die aktuell auch gerne als Antwort auf nahezu jede Herausforderung in der heutigen Zeit verwendet wird. Das ist die Bewegung "New Work" des österreichisch-US-amerikanischen Philosophen Frithjof Bergmann. Der 1930 geborene Pfarrersohn, geprägt durch schlimmste Erfahrungen im Dritten Reich, gewann im Jahr 1949 bei einer Ausschreibung der österreichischen Botschaft mit einem Aufsatz ein Studienjahr im amerikanischen Oregon. Der Titel seines Aufsatzes lautete: "Welt, in der wir leben wollen". Nach eigenen Angaben wählte er diesen Titel, da er eine große Perspektivlosigkeit und wenig Chancen in seinem Heimatland Österreich und der alten Welt sah. Nach diesem Studienjahr blieb Bergmann in Amerika und hielt sich mit allerlei Anstellungen (bspw. Preisboxer, Hafenarbeiter und landwirtschaftlicher Helfer) über Wasser. Oft betont er in Vorträgen seinen inneren Antrieb, sich ausprobieren zu wollen. Weiter beschreibt er seine Lebensgeschichte als Summe von Zufällen, die immer glückliche und positive Auswirkungen hatten. Von seinen Freunden beeinflusst, begann Frithjof Bergmann ein Studium der Philosophie an der anerkannten Universität Princeton. In seiner Promotion beschäftigte er sich mit dem Wirken von Hegel und dem deutschen Idealismus. Seit 1958 war er schließlich als Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie und Anthropologie an der University of Michigan in Ann Arbor und als Lehrbeauftragter an diversen weiteren Universitäten tätig. In vielen Interviews beschreibt Bergmann, dass seine eigene Lebensgeschichte der vielen verschiedenen Arbeitsstationen das Interesse an der Frage der Arbeit, verbunden mit dem Thema der Automatisierung maßgeblich geprägt hatte. Nach einer Reise durch die ehemaligen Ostblockländer wuchs die Erkenntnis in ihm, dass sowohl der Sozialismus als auch der Kapitalismus keine Zukunft mehr hätten. Bestärkt wurden diese Erkenntnisse bei einem Besuch der General Motors Fabrik in Flint im US-Bundesstaat Michigan. GM stand zu dieser Zeit wieder einmal vor einer Welle von Entlassungen. Frithjof Bergmanns Idee war es, ein Gegenmodell zu entwickeln, nämlich die Bewegung der "Neuen Arbeit" ("New Work"). Seine These war, dass klassische Lohnarbeit in einem Angestelltenverhältnis (vgl. "Alte Arbeit") so alt wie die industrielle Revolution selbst war. Dahinter stünde keinesfalls ein Naturgesetz, sondern lediglich 200 Jahre Geschichte. Da Lohnarbeit jetzt nicht mehr funktioniere und krank mache, sei es Zeit für ein neues Konzept. Geprägt durch den Idealismus schrieb Bergmann in einem seiner Bücher, dass Lohnarbeit lediglich die zu erledigende Aufgabe als Ziel hat. Der Mensch nutzt dafür sich selbst als Werkzeug und als Mittel zur Verwirklichung dieses Zwecks. Der Mensch unterwirft sich also der fremdbestimmten Arbeit. Das Konzept "Neue Arbeit" wollte diesen Zustand umkehren indem nicht Menschen der Arbeit dienen sollten, sondern die Arbeit den Menschen. Aufgrund der technischen Möglichkeiten sei es jetzt an der Zeit, ein Leben als lebendigere und vollständigere Menschen zu führen. Falsche Arbeit (vgl. "Polarität der Arbeit") ist laut Bergmann hingegen eine Krankheit, die irgendwann vorübergeht. Das gelte auch, wenn man diese falsche Arbeit lediglich etwas angenehmer gestalte, ihr einen "Minirock" anziehe, so ein Bergmann-Bild. Das, so kritisiert er weiter, ist nicht "New Work". Die richtige "Neue Arbeit" sei viel mehr als nur Lohnarbeit mit Dekoration, sie ist eine Erlösung in die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Im Jahr 1984 gründete er deswegen in Flint das erste "Zentrum für Neue Arbeit". In diesem Zentrum sollte General Motors einen "horizontalen Schnitt" wagen. Anstatt die Hälfte der Arbeiter zu entlassen und durch Automatisierung zu ersetzen, schlug er eine Alternative vor: Alle Mitarbeiter arbeiten nur noch sechs Monate im Jahr. In den anderen sechs Monaten gehen die Arbeiter ins Zentrum für Neue Arbeit, um herauszufinden, was sie „wirklich, wirklich wollen“. Das Zentrum für Neue Arbeit hilft ihnen, tatsächlich auch Geld zu verdienen. Seitdem sind angeblich einige solcher Zentren in verschiedenen Ländern entstanden. Tatsächlich existiert derzeit nicht ein einziges. Zusammenfassend sind die zentralen Werte der "Neuen Arbeit" Selbstständigkeit (statt Abhängigkeit von Lohnarbeit), Handlungsfreiheit und Teilhabe an Gemeinschaft. Arbeit an sich besteht aus drei Teilen: Erwerbsarbeit ("smart consumption"), Selbstversorgung ("High-Tech-Self-Providing") sowie "Arbeit, die man wirklich, wirklich will".
Fazit
Die Bedeutung von Arbeit wird nicht erst seit der Digitalisierung diskutiert. Viele bedeutende Natur- und Geisteswissenschaftler haben sich dieses Themas angenommen. Nimmt man die Gedanken Frithjof Bergmanns wirklich ernst, so ist und bleibt Lohnarbeit immer "Alte Arbeit“, egal wie sie verpackt ist. Der inflationär benutze Begriff der "Neuen Arbeit" ist vielmehr die Abkehr von der Abhängigkeit der Werte des neoliberalen Kapitalismus. Im Fokus stehen die individuelle Befreiung und Entwicklung hin zu dem, was man "wirklich wirklich" will. Für Unternehmen, die sich in ihren traditionellen Managementtechniken verändern wollen, ist eher der Begriff des "Befreiten Unternehmens" interessant. Dieser bezeichnet eine Organisation, in der die Initiative von Mitarbeitern und deren Potenzial im Vordergrund stehen und diese Mitarbeiter auch die maximale Freiheit und die Verantwortung für das Unternehmen tragen. Der Begriff "Befreites Unternehmen" ("Liberated Company") wurde zuerst im Jahr 2009 von Isaac Getz, Professor an der European School of Management (ESCP Business School) erwähnt und später in seinem Bestseller "Freedom Inc." detaillierter beschrieben. Ein "Befreites Unternehmen" ist nicht als ein exaktes Organisationsmodell definiert. Es braucht seniore Führungskräfte (sog. Liberated Leader"), die einen organisatorischen Raum schaffen und offenhalten (vgl. "Führungshandeln statt Führungstechnik", Prof. Peter Nieschmidt), in dem Freiheit, Verantwortung und persönliche Initiative gedeihen können. Die Strukturen und Praktiken einer befreiten Unternehmung können nicht einfach von einem auf ein anderes Unternehmen übertragen werden. Auch gibt es keinen standardisierten Pfad oder die eine "best practice“, ein Unternehmen zu einem befreiten Unternehmen zu transformieren. Unternehmenslenker und Mitarbeiter begeben sich gemeinsam auf einen Entwicklungspfad, der für sich genommen immer einzigartig ist und auch nie wirklich abgeschlossen wird.
Literaturempfehlung, Quellen und Bildnachweis
Bergmann, Frithjof:
Neue Arbeit / Neue Kultur (link),
Auflage 1, Freiburg im Breisgau, Arbor Verlag, 2004 (ISBN-10 392419596X, ISBN-13 978-3924195960)
Getz, Isaac und Carney, Brian M.:
Auflage 1, New York City, Crown Publishing Group, 2009 (ISBN-10 0307409384, ISBN-13 978-0307409386)
Marx, Karl.:
Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie (link),
Auflage 7, Hamburg, Severus-Verlag, 2009 (ISBN-10 3866473257, ISBN-13 978-3866473256)
McGregor, Douglas:
The human side of enterprise (link),
Auflage unbekannt, New York City, McGraw-Hill, 2006 (ISBN-10 0071462228, ISBN-13 978-0071462228)
Ouchi, William:
Auflage 1, New York City, Perseus Books Group, 1983 (ISBN-10 038059451X, ISBN-13 978-0380594511)
https://soundcloud.com/thewaytonewwork/100-mit-frithjof-bergmann-godfather-of-new-work
https://info.arte.tv/de/mein-wunderbarer-arbeitsplatz
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