Autor: Jiri Konop
Prämissen
Stellen dir einmal etwas vor: Du fährst in den Urlaub und nach einiger Zeit blinkt die Leuchte für das Motoröl auf. Du fragst dich, was passiert ist. Warum leuchtet diese Lampe? Erschrocken hälst du zeitnah an einem Parkplatz an und prüfst den Ölstand. Alles ist okay, genau die richtige Ölmenge. Du startest den Motor wieder, das Licht blinkt nicht mehr. Beruhigt fährst du weiter. Während der 1.000 km bis zum Meer wird es noch einige Male passieren. Als du endlich angekommen bist, vergisst du die Sache und freust dich auf den Urlaub. Das Problem ist nicht gelöst, denn jedes mal wenn das Licht anging, war die Ölmenge okay und das Auto startete auch wieder. Dein Auto steht während des gesamten Urlaubs. Beim Zurückfahren auf der Autobahn ist es plötzlich so, als ob der Motor nicht mehr mit Benzin versorgt würde. Es ertönen laute und schlagende Klopfgeräusche und nach einer Weile geht der Motor schliesslich aus. Nach sechs Stunden Wartezeit musst du einem Mietwagen buchen und mit diesem nach Hause zu fahren. Die Servicediagnose der Werkstatt ist eindeutig: Motorstillstand aufgrund unzureichender Schmierung.
Vor fünf Jahren tat plötzlich die rechte Seite deines Beckens am Morgen nach dem Aufwachen weh. Nach mehreren Besuchen bei medizinischen Spezialisten und diversen Röntgenaufnahme diagnostizierte der Orthopäde bei dir eine beginnende Arthrose im Hüftgelenk. Auf deine Frage, was dagegen gemacht werden könne, antwortete der Arzt nur: "Sie können nichts dagegen tun, es ist eine degenerative Krankheit. Des Weiteren schonen sie sich, sonst müssen Sie in ein paar Jahren operiert werden."
Als leidenschaftlicher Athlet hast du natürlich weiter trainiert. Der Schmerz verschlimmerte sich, aber er war ertragbar. Nach einer Weile konntest du überhaupt nicht mehr aufstehen und der Schmerz war nicht mehr zu ertragen. Besonders nach langem Stehen oder Sitzen im Auto und im Büro. Nach abschliessender Untersuchung durch einen weiteren Orthopäden wurde schwere Arthrose diagnostiziert. Der Arzt teilt dir mit, dass die einzige Möglichkeit darin bestünde, das Gelenk innerhalb von 6 Monaten oder besser schnellstmöglich durch ein künstliches Gelenk zu ersetzen.
Du bist Abteilungsleiter und verantwortlich für die Herstellung von Blechteilen in einem Unternehmen. Diese Blechteile werden für Gehäuse von elektronischen Geräten benötigt. Deine Abteilung liefert ein komplettes Sortiment für die gesamte Anlage und wird anhand der Anzahl der produzierten Teile mit einer Auslastungs- oder Effizienzkennzahl bewertet. Je mehr Teile die Maschinen ausspucken, desto besser scheint deine Kennzahl. Eine der Maschinen läuft seit über sechs Monaten 24 Stunden an sieben Tagen ununterbrochen mit voller Leistung. Immer häufiger spuckt die Maschine nicht nutzbare Teile aus. Einer deiner gewissenhaftesten Mitarbeiter bemerkt, dass die Maschine regelmäßig gewartet werden sollte, was bedeuten würde, dass die Maschine für 16 Stunden jedes Monat heruntergefahren werden muss. Das kannst Du dir nicht leisten, denn sonst sinken deine Effizienzkennzahlen. Du bemerkst einfach die falschen Kennzahlen nicht! Der Ausschuss wird immer höher und die Effizienz wird immer schlechter. Schliesslich entschliesst du dich für eine Wartung, kannst dir aber nur eine Schicht an Stillstand leisten. Der Servicetechniker teilt dir mit, dass er innerhalb von acht Stunden keine vollständige Wartung durchführen kann. "Egal, wir erledigen den Rest ein andermal, wenn es notwendig ist", lautet deine Antwort.
Der Servicetechniker wird das tun, was du beschlossen hast. Nach dem halben Service und dem erneuten Anfahren stellst du fest, dass die Maschine weiterhin viele fehlerhafte Teile produziert und nicht mit voller Leistung produzieren kann. Die vorgeschriebenen Spezifikationen liegen einfach immer außerhalb der Toleranz. Was machst du jetzt? Du hast acht Stunden verloren und kannst nicht produzieren! Du wirst auch deine geforderten Ergebnisse nicht erreichen, und die wirklich benötigten Teile für verumsatzbare Kundenaufträge können auch nicht geliefert werden.
Konklusion
Was haben alle drei Geschichten gemeinsam, Motor streikt, Arthrose schmerzt und defekte Blechteile? Ein Gemeinsamkeit dieser Geschichten ist, dass im Fall eines Problems die Ursache niemals angesprochen wurde, sondern nur auf die Auswirkung oder das Symptom reagiert wurde. Wenn wir ein Problem lösen wollen, damit es nicht erneut auftritt, müssen wir immer seine Ursache finden und dauerhaft beseitigen. Wenn wir uns selbst beobachten, dann müssen wir feststellen, dass wir im Alltag, bei der Arbeit, zu Hause und/oder in Beziehungen leider nur auf die Symptome von Problemen reagieren. Wir sind einfach nicht auf das Finden der Ursache trainiert, verhalten uns nach anderen Mustern. Und weil wir die wirklichen Ursachen nicht lösen, kommen die Probleme immer intensiver auf uns zurück. Manchmal kommt es vor, dass wir das Problem nicht mehr aufhalten können und es sich in voller Kraft oder destruktiv wie in den ersten beiden Fällen manifestiert. Aber was würde eigentlich passieren, wenn wir das Problem rechtzeitig lösen würden?
Im ersten Beispiel wurde der Motor zerstört. Der Servicetechniker hat die Ursache gefunden. Es war die defekte Ölpumpe. Das Motoröl wurde mit einem zu niedrigen Druck gepumpt und so wurde der Motor nicht ausreichend geschmiert. Bei hoher Last beim Fahren auf der Autobahn ging deswegen der Motor aus. Es ist dir nie in den Sinn gekommen, dass es an der defekten Ölpumpe liegen könnte, denn der Ölstand war ja in Ordnung. Du hast nur die Schmierleuchte beobachtet, um auf das Symptom des Problems zu reagieren. Wenn du dein Auto am Urlaubsort überprüfen hättest lassen, wäre das Auto repariert und das Problem behoben worden. Du wolltest sparen, aber am Ende war es viel teurer.
Arthrose ist eine degenerative Gelenkerkrankung. Sie entsteht aber nicht von alleine. Das Gelenk funktioniert problemlos, wenn es richtig sitzt und mit den entsprechenden Muskeln gleichmäßig stabilisiert ist. Wenn ein Muskelungleichgewicht auftritt, ist die Belastung des Gelenks in der Hüftpfanne nicht mehr gleichmäßig. Wenn dies zu lange so ist, kann das Gelenk dauerhaft beschädigt werden und muss möglicherweise ersetzt werden. Dies war auch der Fall in der zweiten Geschichte. Das Ungleichgewicht der Muskeln wurde durch übermäßiges Sitzen bei der Arbeit verursacht, was zu einer Schwächung der Gesäßmuskulatur, insbesondere des Gluteus medius führte. Dieser Muskel ist der wichtigste Stabilisator des Hüftgelenks, besonders beim Gehen und Laufen. Du bist trotz der Schmerzen weitergerannt, bis es nicht mehr weiter ging. Die einzige Lösung ist jetzt ein künstliches Hüftgelenk. Wenn du die Ursache des Problems gekannt hättest, hätte es rechtzeitig verhindern können, indem du das Sitzen eingeschränkt und deinen Gesäßmuskel gestärkt hättest.
Im letzten beschriebenen Fall, dem des produzierenden Unternehmens möchte ich eine einfache Methode beschreiben, um die Grundursache der Auswirkung zu finden, denn auch hier wurde nicht auf die Ursache eingegangen. Diese Methode heißt "5 times 5 why", auch bekannt unter 5 x Warum. Sie ist die Methode, mit dem man in einem strukturierten Problemlösungsprozess die Ursache von Fehlerbildern finden kann. Sie funktioniert wie folgt: Jedes "Warum" sucht den tatsächlichen Grund für ein Fehlerbild. Dabei gilt es stets, den Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zu verstehen, und das Problem zu beobachten, wenn es passiert. Ist die Ursache linear-logisch eindeutig, kann die nächste "Warumschleife" angegangen werden. Diese Integration vollzieht man so oft, bis man an der wirklichen Wurzel des Problems ankommt. In diesem Punkt muss nun eine konkrete Maßnahme zur Lösung des Problems durchgeführt werden. Tritt das Fehlerbild erneut auf, ist man auf der Suche nach der Ursache irgendwo falsch abgebogen, hatte folglich eine falsche Prämisse aufgestellt. Für das beschriebene Beispiel der Blechfertigung würde das 5 times 5 why folgendermassen aussehen können:
- Warum sind die Produkte außerhalb der Toleranz? Antwort: Weil die Maschine nicht richtig funktioniert.
- Warum funktioniert die Maschine nicht richtig? Antwort: Weil die komplette vorgeschriebene Wartung nicht durchgeführt wurde.
- Warum wurde die Wartung nicht gemacht? Antwort: Weil für sie keine Zeit war.
- Warum war keine Zeit für die Wartung? Antwort: Weil die Maschine produzieren muss!
- Warum muss die Maschine produzieren? Weil das Ziel nicht erreichen wird, wenn die Maschine nicht läuft.
Dein Vorgesetzter wird dich fragen, warum du das Ziel nicht erreichst. Du wirst antworten, dass das Ziel nur erreicht werden kann, wenn die Maschine kontinuierlich läuft. Dann bleibt jedoch keine Zeit mehr für die regelmäßige Wartung. Und du berücksichtigst nicht einmal die Möglichkeit eines ungeplanten Ausfalls der Maschine aufgrund eines Fehlers. Dein Vorgesetzter wird dir sagen, dass die Maschine teuer war und sie deswegen die ganze Zeit laufen müsse. Aber komischer Weise ist bekannt, dass die Endproduktion genug Material hat und die Maschine Teile auf Lager produziert, die heute und auch nächste Woche gar nicht verkauft werden können! In diesem Fall ist die Ursache des Problems nicht die Maschine, sondern die ignorante Zieleinstellung und vor allem die Kennzahl, die nicht die Realität widerspiegelt.
Fazit
Abschließend möchte ich betonen, dass die Lösung eines Problems durch Auffinden und Beseitigen seiner Ursache möglicherweise nicht immer einfach ist. Sowohl im Alltag als auch im Arbeitsleben. Wo sich das Fehlerbild manifestiert, ist normalerweise nicht die eigentliche Ursache, sondern nur das Symptom. Es lohnt sich auf jeden Fall, die Grundursache zu beseitigen, wie Du wahrscheinlich in diesen beschriebenen Geschichten gesehen hast. Es ist immer notwendig, das Problem im Kontext des gesamten Systems zu verstehen und es nicht lokal danach zu bewerten, wo es sich manifestiert. Und noch eine kleine Erkenntnis zum Abschluss: Landest du bei deiner letzten "Warum-Iteration" bei einem Mitarbeiter, bist du noch nicht am Ende!
Literaturempfehlung, Quellen und Bildnachweis
Taiichi Ohno:
Toyota Production System: Beyond Large-scale Production
Auflage 1, London, Taylor & Francis, 2016 (ISBN-10 0915299143, ISBN-13 978-0915299140)
OJT Solutions Inc.:
Toyotas Geheimrezepte für die Problemlösung
Auflage 1, Deutscher Management Verlag, 2019 (ISBN-10 3940775238, ISBN-13 978-3940775238)
OJT Solutions Inc.:
Toyotas Geheimrezepte für die Mitarbeiterentwicklung
Auflage 1, Deutscher Management Verlag, 2017 (ISBN-10 3940775221, ISBN-13 978-3940775221)
Bildnachweis: Foto Vorschau: "© pathdoc – stock.adobe.com.", Foto Text: "© artegorov3@gmail – stock.adobe.com.",
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